Rückblick auf 3 Jahre Projektarbeit
Der Beginn
Im Mai 2015 startete das niedersachsenweite Projekt „positive kids“, um auf den steigenden Bedarf eines HIV-Präventions- und Beratungsangebotes für Mütter und Schwangere mit Migrations-hintergrund zu reagieren. In Deutschland kommen 80 Prozent der Kinder mit HIV aus Migranten- und Flüchtlingsfamilien. Aufklärung über das deutsche Gesundheitssystem und das Angebot sich Beratungsstellen und Organisationen anzuvertrauen, sollte der Zielgruppe näher gebracht werden.
Das oberste Ziel von „positive kids“ war die Konzipierung und Umsetzung eines Zielgruppen spezifi-schen Angebotes, das von der für die Aidshilfen schwer zu erreichenden Klientel angenommen und bei ihr etabliert wird.
Entwicklung eines eigenen Konzeptes
Aufbau eines Netzwerks
Um sich dem umfangreichen Thema zu nähern, wurde Kontakt zu zahlreichen Organisationen, Institutionen, Wohlfahrtsverbänden und Behörden aufgenommen.
Dazu zählten
- der Flüchtlingsrat Niedersachsen,
- die Integrationsbeauftragte des Landes Niedersachsen,
- Kargah,
- Terre des hommes,
- Baobab zusammensein,
- der Paritätische Wohlfahrtsverband Niedersachsen,
- die Aidshilfen in Niedersachsen,
- das Netzwerk traumatisierter Flüchtlinge in Niedersachsen,
- das Frauen- und Mädchengesundheitszentrum,
- die Frauenhäuser in Niedersachsen,
- der Facharbeitskreis „Frauen“,
- der Facharbeitskreis „Flucht & Migration“,
- der Arbeiter Samariterbund Landesverband Niedersachsen,
- die Johanniter,
- die Malteser,
- das MiMi-Projekt des Ethnomedizinischen Zentrums Hannover,
- die Diakonie
- die Caritas
- das DRK
- u.v.a.m.
Nach einer Kontaktaufnahme entwickelten sich mit manchen Organisationen enge Kooperationen, die bis zum Ablauf der bewilligten drei Jahre Projektarbeit noch intensiver wurden.
Fortbildung zu den Themen Flucht & Migration
Die Vielfältigkeit der Angebote erlaubte es, die wichtigsten Projekt-Themen ins Auge zu fassen:
- „Häusliche Gewalt & Migration“ (Stadt Celle)
- „Gesundheit ist kein Luxus“ (Deutsche Aidshilfe)
- „Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ (Paritätischer)
- „Traumatisierte Flüchtlingskinder“ (Terre des hommes)
- „Sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität als Asylgrund“ (Stadt Hannover)
- „Gesundheit & Migration“ (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ZANZU)
- „Interkulturelle Öffnung“ (Netzwerk Frauen und Aids)
- „Geflüchtete Mädchen und Frauen – Gesundheit, Versorgung, Perspektiven“ (Frauen- und Mädchengesundheitszentrum)
- u.v.a.m
Mitarbeit in Gremien, Arbeitskreisen und Arbeitsgruppen
Im Laufe der ersten Monate entwickelte sich eine Eingliederung des Projekts in bestehende und neu gegründete Gruppen:
- Arbeitskreis-Frauen und Migrantinnen
- Arbeitsgruppe zur Erarbeitung mehrsprachiger Materialien für Geflüchtete in der Aidshilfe Niedersachsen
- Runder Tisch „Weibliche Genitalverstümmelung“ im Niedersächsischen Sozialministerium
- Runder Tisch „Sexuelle Gesundheit & Migration“ im Landkreis Celle
Umsetzung zielorientierter Angebote
Veranstaltungen für Geflüchtete und Migrant*innen
Besonders wichtig und sinnvoll erschien ein Modell, das die ganze Familie einbezieht, sich nicht nur an die Frauen wendet und keine Menschen, gleich welcher Herkunft, ausschließt. Damit war das Konzept der „Interkulturellen Familiengesundheitstage in Niedersachsen“ entwickelt und konnte in enger Zusammenarbeit mit den regionalen Aidshilfe angeboten werden. Besonders wertvoll für das Konzept war die Zusage einer Referentin mit syrisch-deutscher Herkunft, die Brücken zwischen den unterschiedlichen Kulturen schlagen kann. Mit der Heilpraktikerin, Familientherapeutin, Tanz-pädagogin und Krankenschwester Susan Bagdach erhielt das Programm ein interkulturelles Format.
1. Interkulturelle Familiengesundheitstag in Niedersachsen (Goslar, 10.08.2016)
Erreicht werden sollten vor allem die Frauen im gebärfähigen Alter, um diese über HIV/Aids aufzuklären, Testangebote vorzustellen und damit eine Übertragung in der Schwangerschaft zu vermeiden. Um den Frauen die Chance zu geben, sich auch über intime Themen zur Frauengesundheit, Schwangerschaft, Geburt und Sexualität auszutauschen, wurde ein geschützter Raum für dieses Programm angeboten.
Das wichtigste Element des Frauenprogrammes ist, dass es keine Frontalvorträge oder langatmige Power-Point-Präsentationen gab, sondern die Themen behandelt wurden, die aus der Gruppe heraus besonders gefragt waren (70 teilnehmende Erwachsene).
Schwerpunktthemen waren
- unerfüllter Kinderwunsch
- Zwangsterilisation
- Mutterpass/HIV-Test und HIV-Prävention
- das „Zyklusspiel“
Die Männer erhielten von den Johanniter in dieser Zeit einen Einführungskurs zur Ersten Hilfe, während die Kinder die Gelegenheit hatten, zu malen und zu basteln. Zum Abschluss wurden die Gäste zu einem gemeinsamen Essen, das von einem italienischen Restaurant gesponsert wurde, eingeladen. Leider nahmen die muslimischen Familien dieses Angebot nicht an. Dennoch fand zwischen den Familien ein reger Austausch statt. Aus dieser Veranstaltung ergaben sich kleine Selbsthilfegruppen: Einige Frauen und Männer boten sich als Multiplikator*innen an.
Neben den eingeladenen Frauen waren auch die Kooperationspartnerinnen von den Inhalten, die Frau Bagdach vermittelte, begeistert. Mit ihrem selbst entwickelten Zyklusspiel konnte auf niedrigschwellige und humorvolle Weise der weibliche Körper, Monatsblutungen, Verhütung und Befruchtung dargestellt werden.
2. Interkultureller Familiengesundheitstag in Niedersachsen (Hannover, 20.10.2016)
Im Gegensatz zur Auftaktveranstaltung in Goslar gelang es diesmal nicht, die Integrationsbeauftragten und -lots*innen mit einzubeziehen. Es konnten allerdings zahlreiche Kooperationspartner gewonnen werden, darunter Kargah, das Netzwerk traumatisierter Flüchtlinge in Niedersachsen, der Arbeitersamariterbund, das Frauenhaus und der Freundeskreis Tambacounda.
Beim Essen wurde berücksichtigt, dass viele der Gäste ausschließlich halal essen, das anschließende Grillfest wurde zum Erfolg (40 teilnehmende Erwachsene).
Schwerpunktthemen waren
- Mutterpass/HIV-Test
- HIV-Therapie
- Weibliche Genitalverstümmelung und Rekonstruktion
- Zyklusspiel
3. Interkultureller Familiengesundheitstag in Niedersachsen in (Celle, 04.03.2017)
Das Einbeziehen von Integrationsbeauftragten, der Diakonie, des Landkreises, der Stadt, der Malteser und des Sprachmittler-Pools gelang dort besonders gut. Die Verteilung der Aufgaben wurde perfektioniert, das große Organisationsteam arbeitete Hand in Hand. Mit dem jungen engagierten Betreiber eines türkischen Imbiss, Hatti Kizilyel, konnte ein wertvoller und großzügiger Lieferant für das Catering gewonnen werden.
Schwerpunktthemen waren
- Unerfüllter Kinderwunsch
- Zugang zu Verhütungsmitteln
- HIV-Test/ Mutterpass
- Schwangerschaft und Geburt
- Zyklusspiel
Diesmal wurde das Programm für die Männer um eine wichtige Einheit erweitert: Ulrich Mennecke von der Infoline Celle bot einen Austausch über Männergesundheit an, der gut angenommen wurde. Nach dieser erfolgreichen Veranstaltung mit ca. 80 erwachsenen Gästen, einer vorbildlichen Vernetzung und optimalen Zusammenarbeit entstand der Wunsch bei den Kooperationspartner*innen nach einem Runden Tisch „Gesundheit & Migration“.
4. Interkultureller Familiengesundheitstag in Niedersachsen (Wolfsburg, 12.06.2017)
Das Organisieren und Ausrichten dieses Gesundheitstages lang diesmal zu einem großen Teil in der Verantwortung der Caritas, die auch ihre Räume zur Verfügung stellte. Zahlreiche Frauen aus unterschiedlichen Nationen kamen mit ihren Kindern. Die Gruppe der Männer war kleiner als bei den Veranstaltungen, die an Wochenenden stattfanden. Begrüßt wurden die Gäste mit einem Trommelkonzert, an dem auch die Teilnehmenden mitwirken konnten (80 Erwachsene).
Schwerpunktthemen waren
- Unerfüllter Kinderwunsch
- Verhütungsmittel
- Zwangssterilisation
- weibliche Genitalverstümmelung
- Mutterpass/HIV-Test und HIV-Behandlung
- Zyklusspiel
Das Thema Männergesundheit wurde ebenfalls angeboten und fand großen Zuspruch, so dass dieses Angebot künftig in das Standardprogramm mit aufgenommen werden wird.
5. Interkultureller Familiengesundheitstag in Niedersachsen (Nienhagen, 25.11.2017)
Der Wunsch, einen Gesundheitstag in der Gemeinde Nienhagen anzubieten, kam diesmal von der Ratsfrau Goncha Kaftan und dem Bürgermeister Jörg Makel. Als Veranstaltungsort wurden Räume des Ratshauses und der Kindergarten für die Gäste geöffnet. Die Anzahl der Teilnehmenden, der Kooperationspartner*innen und der Sprachmittler*innen brach einen neuen Rekord (80 Erwachsene).
Schwerpunktthemen waren
- Schwangerschaftsvorsorge und Schwangerschaftsnachsorge
- Mutterpass/ HIV-Test und HIV-Behandlung
- Verhütungsmittel
- Unerfüllter Kinderwunsch
- Weibliche Genitalverstümmelung
- Monatshygiene
6. Interkultureller Familiengesundheitstag in Niedersachsen (Eschede 14.04.2018)
Fazit Interkulturelle Familiengesundheitstage
Familien mit HIV, die an den Interkulturellen Familiengesundheitstagen (IFGT) teilnahmen, konnten gut in die Familienprojekte des Netzwerks Aids, Kinder und Familie integriert werden.
Mit den Veranstaltungen wurde in Niedersachsen eine Brücke zwischen Geflüchteten, Aidshilfen und anderen NGO’s geschlagen. Das Programmangebot für Frauen im geschützten Raum und die erfahrene Gesundheitsreferentin aus einer syrisch-deutschen Familie schaffte eine unmittelbare Vertrautheit: Die Teilnehmerinnen sprachen offen über Sexualität, Schwangerschaft, Genitalverstümmelung, Zwangssterilisation und häusliche Gewalt.
Familien mit HIV, die sich während der Interkulturellen Familiengesundheitstage an die Aidshilfe wandten, konnten in das Projekt des Netzwerks „Aids, Kinder und Familie“ mit eingebunden werden und sich mit anderen von HIV betroffenen Familien vernetzen.
Organisationen, die die Gesundheitstage mit ausrichteten, haben sich miteinander vernetzt.
Bei den fünf Veranstaltungen wurden etwa 140 Familien, 55 junge Frauen und 15 junge Männer erreicht. Die Zahl der Teilnehmer*innen nahm kontinuierlich zu und wurde auch in kleineren Orten auf hohem Niveau gehalten.
Folgende Nationalitäten waren unter den Teilnehmenden vertreten: Afghanistan, Bulgarien, Côte d’Ivoire, Eritrea, Ghana, Irak, Iran, Kenia, Kosovo, Kurdische Gebiete, Palästina, Polen, Ruanda, Rumänien, Russland, Serbien, Simbabwe, Somalia, Spanien, Syrien, Türkei und Tschetschenien.
Besonders erfolgreich und nachhaltig waren die Gesundheitstage in Goslar und Celle: In Goslar wurden im Anschluss von den regionalen Partner*innen in Zusammenarbeit mit Multiplikator*innen aus unterschiedlichen Ländern kleine Veranstaltungen eigenständig angeboten. Im Landkreis Celle gründete sich der Runde Tisch „Gesundheit & Migration“, der gemeinsam die Gesundheitstage mit organisiert.
Von jedem einzelnen Gesundheitstag ging der Impuls für die Teilnehmenden aus, sich untereinander besser zu vernetzen.
Regional werden die IFGT besser beworben als zu Beginn des Projekts, da der Bekanntheitsgrad der Veranstaltungen gestiegen ist.
Die Nachfrage ist groß. Folgende Anfragen konnten bislang nicht berücksichtigt werden:
- Aidshilfe Hildesheim, Wunschtermin Frühjahr 2018
- Aidshilfe Göttingen, Wunschtermin Sommer 2018
- Aidshilfe Hannover, Wunschtermin Sommer 2018
- Aidshilfe Braunschweig, Wunschtermin Herbst 2018
- Aidshilfe Oldenburg, Wunschtermin Frühjahr 2019
Veranstaltungen für Ärzt*innen, Hebammen, Berater*innen
Während der Veranstaltungen wurde ein großer Bedarf an interdisziplinärer Zusammenarbeit im medizinischen Bereich geäußert. Um die zahlreichen Nachfragen und Wünsche decken zu können, fand im September 2017 eine entsprechende Fortbildung in Hannover statt:
Fachtag „HIV, Schwangerschaft & Migration“ am 07.09.2017 in Hannover
Der Einladung folgten Internist*innen, Pädiater*innen, Hebammen, Sozialarbeiter*innen und Ehrenamtliche aus der Flüchtlingsarbeit.
Themenschwerpunkte waren
- Aktualisierte Leitlinien
- ART in der Schwangerschaft
- Sectio versus Spontangeburt
- Stillen ja oder nein
- PEP bei Neugeborenen
- Sprach- und Kulturbarrieren bei der Betreuung von Schwangeren mit Migrationshintergrund
Für die Teilnahme konnten sechs Fortbildungspunkte vergeben werden.
Einladungen zu weiteren Fachtagungen, Kongressen und Konferenzen
- Deutsch-Österreichische-Aidskongress 2017 in Salzburg
- Das Projekt „positive kids“ erhielt das Angebot, mit Abstracts und einem Vortrag das Konzept vorzustellen.
- Niedersächsischer Gynäkologentag in Hannover 2017
- Informationsstand im Foyer des Congress Centrums
- Einladung zur Welt-Aids-Konferenz in Amsterdam im Juli 2018
- Am Rande der Konferenz wird das Projekt „positive kids“ mit dem Konzept der Interkulturellen Familiengesundheitstage im „Global Village“ vorgestellt.
Anfragen aus anderen Bundesländern
Das Konzept der Interkulturellen Gesundheitstage ist auf großes Interesse in anderen Bundesländern gestoßen: Brandenburg, Hamburg, Hessen und Sachsen-Anhalt haben Informationen angefordert, da es in Niedersachsen gelungen ist, mit diesem Format ungewöhnliche viele Migrantinnen zu erreichen. Die Aidshilfe in Potsdam hat für das Land Brandenburg das Konzept bereits übernommen. Am 9. Oktober 2017 wurde dort der 1. Interkulturelle Familiengesundheitstag ausgerichtet.
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